Diese Geschichte begann vor 200 Jahren, als mit der Unterstützung des Russischen Zarenreichs Deutsche nach Georgien kamen. Ihre Mehrheit waren die Schwaben aus Württemberg, die sich in den Monaten Mai und Juli 1817 aus Ulm auf der Donau auf den Weg machten und im September Odessa erreichten. Dort blieben sie in den dort zuvor gegründeten deutschen Siedlungen, um die kalten Monate zu überwintern und kamen daher erst im Herbst 1818 im Kaukasus an. Trotz allerlei Unterstützung seitens des russischen Staates mussten die Siedler schwierige Reisebedingungen überwinden und ließen einen komplizierten Weg hinter sich; Hunderte von ihnen kamen unterwegs ums Leben.
Hier, damals in der Umgebung von Tiflis im Dorf Didube (heute Samtredia-, Tskaltubo- und Agladse-Straßen), entstand eine der ersten deutschen Siedlungen Alexandersdorf.
Die Siedlung wurde zu Ehren des russischen Zaren Alexander 1. benannt. Hier siedelten sich 26 (nach manchen Angaben 23) Familien an. Gemäß den Eintragungen im Gemeindebuch lebten im Jahr 1860 schon 35 Familien in Alexandersdorf. Ihre Zahl verdoppelte sich um 1880.
Die Siedlung änderte mehrmals ihren Namen: Alexandersdorf-Alexandrovskoe-Alexandersdorf-Liebknechtsdorf.
Den Namen Alexandersdorf trug die Siedlung zwischen 1818 und 1916. In den Zeiten des 1. Weltkriegs wurde sie zu Alexandrovskoe umbenannt, als viele Siedlungen neue Namen bekamen. Das Nationale Archiv Georgiens enthält die entsprechende Dokumentation.
Quelle: Nationales Archiv Georgiens, Bestand 254, Eintrag 3, Akte 12024
Die Zeitung „Kaukasische Post“ vom 29.05.1918 sagte, dass die Abgeordneten der deutschen Siedlungen des südlichen Kaukasus die alten Namen der Siedlungen zurückhaben wollten. So bekam 1918 Alexandersdorf wieder seine alte Bezeichnung zurück.
1923 hat die Regierung der Sowjetunion wieder den Namen der Siedlung gewechselt, diesmal in Liebknechtsdorf. Um ca. 1938 wurde die Siedlung Teil der Stadt Tiflis.
1941, einige Monaten nach dem Kriegsanfang, wurde die Bevölkerung von Alexandersdorf aus Tiflis, dem damaligen Stalin-Bezirk, nach Kazachstan deportiert. Nur die Familien mit gemischter ethnischer Zusammensetzung (wie die meines Großvaters) durften bleiben. In die leerstehenden Häuser sind die aus den Bergen angesiedelten Familien eingezogen.
Leider konnte ich die Zeitgenossen nicht persönlich fragen, wie das Leben in der Deportation war. Mein Großvater ist sehr jung gestorben, nur ein kleiner Teil der Familiengeschichte erreichte mich. Die meisten Unterlagen sind vernichtet. Die Familienalben haben nur wenige Fotos enthalten. Bekannt ist, dass die Familie mit ihren deportierten Verwandten Jahre lang keinen Kontakt hatte. Erst jetzt versuche ich, den Kontakt wieder herzustellen. Später habe ich erfahren, dass die Briefe an den Absender zurückkamen mit der Antwort, die Familie wohne nicht mehr in der angegebenen Adresse. Dabei hatte die Familie ihre Adresse niemals geändert. Auch meine Urgroßmutter war in Alexandersdorf geboren. Als ich in die Samtredia-Straße ging und das Haus sehen wollte, in dem mein Großvater aufgewachsen ist und in dem er mit seinen Eltern und Geschwistern lebte, habe ich weder die Adresse (Samtredia-Straße 25) noch das Haus finden können. Nur ein kleiner Teil von den alten Gebäuden ist dort noch erhalten. Das macht mich sehr traurig...
Fotos: Familienarchiv von Olesya Dimitrichenko
Die erste sogenannte Hauptstraße der Siedler war eine ordentlich geplante, breite Straße. Später wurde sie in Samtredia-Straße umbenannt.
1907 gab es schon drei Straßen und eine Gasse.
1930-1941 hießen diese Straßen Samtredia-, Tskaltubo-, und Brdsola- (Kampf-) Straße. Eine breite Gasse, in der die lutherische Kirche stand, überquerte die zwei Parallelstraßen.
In der Samtredia-Straße war die deutsche Schule, von der heute noch eine Wand erhalten ist. 1938 wurde die Schule geschlossen und ihre Schüler wurden in die russische Schule Nr. 45 eingewiesen.
Die Schulwand in der Samtredia-Straße
Es gab in Alexandersdorf eine Religionsgemeinschaft, die ihre Satzung hatte, welche viel über das Leben der Deutschen aussagt. Die Satzung enthielt die genauen Ziele und die Zusammensetzung der Gemeinschaft sowie die Pflichten einzelner Mitglieder. Es gab einen Ausschuss, der jedes Jahr die Wirtschaftsprüfung durchführte. Man kann sehen, woher die Gemeinschaft finanziert wurde und wie es zum Zeitpunkt des Auflösens um die Gemeinschaft stand.
Quelle: Nationales Archiv Georgiens, Bestand 1738, Eintrag 1, Akte 2
Ausstellung
2016 fand im Stadtrat von Tbilisi, auf Initiative des Stadtratsmitglieds Alexander Elisaschwili und mir ,die Ausstellung „Alexandersdorf – ein verlorenes deutsches Dort in Tbilisi“ statt. Organisiert wurde sie vom Verein zur Bewahrung des deutschen Kulturerbes im Südkaukasus und Tbilisi Hamkar.
Die Ausstellung präsentierte das in der neuen Bebauung verlorene und durch ein paar Gebäude erhaltene alte deutsche Dorf Alexandersdorf.
Vor kurzem wurden in Didube, in der ehemaligen Siedlung Alexandersdorf, Informationsschilder und Banner angebracht.
Leider erhielt unsere Generation weder in der Schule noch in den Hochschulen in Tbilisi oder von außerhalb Informationen über die deutschen Siedlungen. Nur diejenigen, die Angehörige, Freunde oder Verwandte hatten, kannten die Geschichte.
Die Geschichte, die fast vollständig ausgelöscht und nur in vereinzelten Auskünften im Gedächtnis geblieben ist.