2018-01-25
ავტორი : Shota Gudjabidze
Foto "Glaudan"

Das Wort heißt “träge”. Wie die Kondensmilch aus der Dose auf die Brotkruste fließt: am Anfang fließend, dann beginnt sie zu nerven. Du leerst sie ins Glas rein, damit sie in der Metalldose nicht schlecht wird, wie meine Mutter immer sagt, trotzdem bleibt eine Masse in der Dose, die dir leid tut.

So träge häuft sich der Name dieses Mannes in meinem Kopf an.

Den Namen Glaudann hatte ich auch schon gehört, bevor ich Meri Gigineischwili kennenlernte.

In den 90-er Jahren hat jemand beim Adjara-Rundfunk eine Münze aus den Zeiten vor dem Zaren Nikolaus gefunden, als die Buchhaltungs- und andere strategische Abteilungen renoviert wurden. Der alte Fußboden wurde entfernt und darunter Assignate mit der Abbildung des Zaren entdeckt. Viele behaupteten, sie hätten sie gefunden.

Die Gerüchte verbreiteten sich fast direkt in der Live-Übertragung: Ein deutscher Fotograf soll in diesem Haus gewohnt und in der Buchhaltung sein Atelier, im technischen Bereich sein Schlafzimmer gehabt haben.

Die Gerüchte verbreiteten sich hauptsächlich aus der Musik-Redaktion, in der damals die Beispiele der Volksmusik aufbewahrt wurden und die die Stadtfolklore nicht allzu sehr liebte.

Warum so viel suchen, sagte eines Tages Soso Sturua zu mir, nebenan in dem Haus mit dem Memorialschild lebt die 100 Jahre alte Tochter jenes Arztes im gleichen Haus, sie wird bestimmt alles wissen. Das alles geschah im Nebenhaus des Rundfunks und der Wind brachte die Melodie des Lieds “tskals napoti chamohkonda” aus dem zweiten Stock.

Ja, bestätigte Meri.

Das Gerücht stellte sich als wahr heraus.

Er fotografierte uns alle, die ganze Familie, suchte Tausende an Posen aus, mal aus dieser Seite, mal aus der anderen. Niemals verlangte er Geld, er achtete meinen Vater sehr.

Platon Gigineischwili war der populärste Arzt in Batumi damals. Er nahm selbst kein Geld, vergaß manchmal sogar “aus Versehen” Geld in den Familien armer Patienten. Die Bewohner von Batumi schütteten Heu vor sein Haus, damit der Lärm den bejahrten Arzt nicht störte. Auch diese Geschichte hielt ich für erfunden, bevor ich Meri kennenlernte.

Glaudann besass ein großes Atelier in dem gleichen Haus, das er bewohnte. Im Eingangsbereich standen schwarze Marmorstatuen, das Atelier war mit einem Glasdach bedeckt.

Wie die Glaudanns in Batumi landeten, wissen wir nicht.

Damals gab es einige Wege.

Man wollte sie im Russischen Zarenreich ansiedeln;

Sie waren auf dem Weg nach Jerusalem über Batumi.

Sie landeten zufällig in Batumi und blieben dort. Er spürte mit deutschem Scharfsinn, dass das Umfeld günstig war.

Wir wissen nicht, wann das Haus gebaut wurde. Der Stil ist modernistisch, so konnte es nicht vor den 1910-er Jahren erbaut worden sein, denn da erreicht die modernistische Architektur Georgien.

2006 wurde das Gebäude neu gestrichen. Bei den Renovierungsarbeiten kam ein rosa Fleck zum Vorschein. Ich habe die Regeln des Umgangs mit dem kulturellen Erbe missachtet, konnte mich nicht zusammenreissen und habe mit einem Schluessel mehrere Schichten des Stucks runtergekratzt. Eine arabische Inschrift kam zum Vorschein, die niemand übersetzen konnte, bis ich Alexandre Elerdaschwili auf Facebook anschrieb. Die Inschrift hiesse “Ghlaudann Foto”, sagte er. Anscheinend war die Werbung für Osmanen und Türken bestimmt, die bis zu den 30-er Jahren die arabische Schrift benutzten und damals in grosser Anzahl in Batumi lebten. Bei der weiteren Recherche stoß ich auf eine anderssprachige Inschrift, deswegen hege ich da keine Zweifel mehr.


Meri hatte viele Fotos, die von Glaudann aufgenommen waren – aus verschiedenen Zeiten mit verschiedener Technik aufgenommen, vor und nach der Revolution. Es war mehr als genug, um die Entscheidung zu treffen, seine Person ernsthaft zu studieren.

Inzwischen hatte mir Irma Jokiladze die dort im Fussboden entdeckten Münzen geschenkt, die ich umgehend zu Slavika Baranikov brachte. “Ich würde dieses Geld für 11 Lari und 45 Tetri schätzen”, sagte er über eine Münze.

Am Anfang dachte ich, Glaudann sei ein Mann, auf einem Passepartout las ich M. Glaudann. Auch Meri sprach von Mischa. Als ich andere Buchstaben sah, dachte ich, es sei ein Fehler.


Dann entdeckte ich noch ein Foto mit Schnee darauf.

Ein makellos gefegter Bürgersteig, eine schneebedeckte Straße, ein Balkon mit der Fotografiewerbung, ein Balkon mit Frauen.

Und in der Strasse ein europäisch angezogener Herr mit einem seltsamen Blick.

So beschloss ich, dass dieser Mann derjenige W. Glaudann sein musste, von dem der Balkon sprach, der beschlossen hatte, eine für Batumi atmospherische Ausnahme zu dokumentieren. Vermutlich lebte er in Batumi so lange, dass er sich dieser Tatsache bewusst war.

Die Fotografen schauen anders in die Kamera: etwas indirekt, mit einem klugen und barmherzigen Blick.

Ich dachte mir, auf dem Balkon stünde die Familie Glaudann: seine Mutter und die Ehefrau.

Das Bild ist vom jungen Mischa Glaudann aufgenommen.

Dieses Foto ließ mir keine Ruhe.

Zuerst sah ich mir jedes Ziegelsteinhaus in Batumi an, von denen es, dank den ehemaligen Bürgermeistern der Stadt, nicht mehr so viele gibt. Dies erleichterte meine Aufgabe, war aber umsonst.

Dann merkte ich, dass Glaudann, trotz der Wolken, in seinem eigenen Schatten steht. Da die Sonne in Batumi genauso aufsteigt, wie vor 100 Jahren, setzte ich meine Suche auf den Parallelstraßen zum Meer fort. Ohne Ergebnis, denn die Null geteilt durch Null ergibt eine Null.

In einigen Jahren habe ich bei einem Spaziergang die Fenster eines Hauses gezählt. Die Fenster stimmten, die Tür, ein Balkon, die Balkonverschmückung, die Öffnungen des unteren Stocks, der Schnee und andere kleinere, aber wichtige Substanzen auch.

Kurz und knapp: Ich habe das Haus von Glaudanns in der Nähe, zwei Blöcke weiter von seinem neuen Haus, in der Abaschidzestrasse 11 gefunden. Mit diesem Fund ist ein Abschnitt meines Lebens zu Ende gegangen.


Das Haus wurde verputzt, rundherum alles zerstört oder angebaut: Falls der Schöpfer mich quälen wollte, dann war das genau der richtige Weg.

Ich erinnernte mich an eine Grußkarte, die ich von einem Unbekannten zum Goldpreis im Herzen Russlands bei der Internetversteigerung molotok.ru käuflich erworben hatte.

Diese Familien glichen einander. Auch die Umfrage auf Facebook bestätigte, dass die Familien identisch waren.

Die gleichen Menschen und der junge Mischa Glaudann mit seiner Schwester, die auf dem Bild mit Schnee wahrscheinlich nicht darauf war, weil sie viel im ersten Schnee spielte, darauf krank wurde und hohes Fieber bekam.


Dieser Schnee hat Ähnlichkeit mit dem Schnee auf einem anderen Bild, das Glaudann gehört. Das Haus, von dessen Balkon das Foto aufgenommen wurde, steht auch heute neben dem “Apollo” und so dachte ich anfangs, dass hier das ursprüngliche Atelier von Glaudann lag. Ich wollte, dass es so gewesen war.

Auf dem Bild sieht man das Haus von Niko Sabaschwili, das damals 2-Stockwerke hatte. Bald baute Niko ein drittes Stockwerk zum trotz des Nachbarn, dem Arzt und Verleger Tschertkoew: “Mir zum Trotz baute er ein 3-Stockwerkhaus”, ärgerte sich Niko.

Daraus erfahren wir, dass das Foto nicht nach 1902 aufgenommen sein kann und dementsprechend nicht den großen Schneesturm von 1911 abbildet: DieGlaudanns und der große Schnee 1911 bereiten sich auf eine Begegnung vor.



Selbst wenn das nicht die Familie Glaudann sein sollte, eins ist klar: Ihr Atelier befand sich an zwei verschiedenen Orten. Auf den Bildern des zweiten Ateliers steht die Anschrift in russischer Sprache: Marinskij 43, also Maria 43. Die Strasse wurde seitdem 12-mal umbenannt und heisst heute Memed Abaschidze Strasse (das Haus trägt jetzt die Nummer 41).


Die Jahre vergingen und ich fand viele Fotos von Glaudann: manche in Batumi, manche auf der trockenen Brücke in Tbilisi, bei alten Fotografen und nüchternen Malern, in den Kellern und auf internationalen Versteigerungen. Manche habe ich gekauft, manche geschenkt bekommen.

Dann fand ich die Karte mit Marinski Nummer 15 und damit auch meine Ruhe.

Hauptsächlich Studio-Aufnahmen, die man früher “Kabinetka” nannte, die kleineren unter ihnen – vizitka (Visitenkarte) mit Gymnasialschülern, Staatsberatern, Bauern, Pfarrern, Muezzins, Offizieren, Menschen mit und ohne Regalien.

Er ging auch oft raus, fotografierte die Stadt, den Stadtgarten, die Eisenbahn, selbstverständlich auch die Menschen.

Viele Ansichtskarten, dessen Autor schwer festzustellen war, scheint von Michael Glaudann aufgenommen zu sein und je mehr ich recherchierte, desto mehr sprach es für Glaudann.




Über die Familie habe ich einiges herausgefunden.

Maria Egorowa war eine Fotografin aus Batumi. So steht ihr Name auf den Bildern. Zuerst dachte ich, das sei der Name ihres Vaters, später fand ich jedoch heraus, dass wir in Batumi schon zur Jahrhundertwende eine Fotografin hatten, was ziemlich einmalig ist in der ganzen Welt. Die Fotografie galt damals noch als ein Handwerk und genoss unter den Männern mehr Beliebtheit. Michael heiratete diese Maria; seitdem finden wir ihre gemeinsamen Fotos. Nino Dsandsava entdeckte sie, nicht ich.

Für die Erforschung der Fotografie in Batumi habe ich einen Bildband über die Fotostudien in damaligen amerikanischen und europäischen Hauptstädten gekauft. Viele berühmte Namen sind erwähnt wie der von Philip Nadar oder Orley de Carva. Die Fotos von Glaudann waren keineswegs schlechter im Hinblick auf die Technologie von damals und die Stimmung, also den Umgang mit den Kunden. Es verwunderte nicht, denn die Kameras, die chemischen Mittel, die lichtempfindlichen Materialien und die Passepartouts wurden damals bei den gleichen Firmen erworben.


Überhaupt war das damalige Batumi ein untrennbarer Teil Europas: die gleichen Werbungen, die gleichen Filmen, die gleiche Architektur. Als in Europa der Jugendstil seine ersten Schritte machte, bauten hier Vaquié und Sabaschwili schon die ersten Häuser. Die Schuhe mit längsten Spitzen der Welt fand Knut Hamsun ausgerechnet in Batumi.

Das einzige, was uns fehlte, war der Schnee.

Darüber möchte ich gesondert erzählen.

Glaudann fotografierte ja alles und alles sehr gut, aber Batumi mit Schnee krönt seine Kunst.

Im Jahre 1911 fiel unerwartet viel Schnee in Batumi – so einen hatte man weder zuvor, noch danach gesehen. Der junge Lehrer Galaktion Tabidze war so erstaunt, dass er dem Schnee sogar ein Gedicht widmete: “Wunderschöner Winter 1911”. “Der Schnee in Batumi ist so, dass man nicht mal die Türen öffnen kann”. . . Michael fotografierte die schneebedeckten Straßen, die warm angezogenen Menschen auf diesen Straßen, die Pferdekutschen am “Apollo” und die Möwen am Meer. Bald erschien eine Reihe von Postkarten mit diesen Fotos. Sie hießen fast wie das Gedicht von Galaktion Tabidze: “Zur Erinnerung an den wunderschönen Winter im Januar 1911”.




Mit Nana Kvatschadze habe ich bis zu 20 Fotos mit schneebedecktem Batumi ausfindig machen können. Sie wurden genau 100 Jahre nach ihrer Aufnahme im Januar 2011 ausgestellt. Offensichtlich bestellte Glaudann qualitativ und preislich beste Passepartouts, auf denen die Bilder aufgezogen waren. Langsam kamen der Wappen und der Stempel dazu. In der Zeit der Sowjets gab er sich nicht mit namenlosen Bildern zufrieden und unterzeichnete sie mit eigenem Namen.

Es gibt weitere von ihm unterzeichnete Fotos aus den 30-er Jahren, danach nicht mehr. Das gibt Anlass zu denken, dass er den Repressionen zu Opfer fiel. Auf jeden Fall verschwindet Michael Glaudann vor dem 2. Weltkrieg aus Batumi und sein Haus wird von Teufeln besetzt.


Dawit Jischkariani fand die Liste der hingerichteten Personen aus Batumi. Michael Glaudann war nicht dabei. Vielleicht wurde er gar nicht erschossen, sondern deportiert und kam nicht mehr aus der Deportation zurück.

Das Haus von Glaudann wechselte oft den Besitzer. Eine Weile diente es als Korrespondentenstelle des 1. Kanals des Georgischen Fernsehens. In den letzten Jahren der Sowjetunion wurde ich genau hier in Komsomol aufgenommen. Im ersten Stock arbeitete ein Uhrmacher Namens Tsolak. Hier befand sich der erste Selbstbedienungsladen, man nannte ihn “ugamkidwelo” (“Verkäuferlos“), später wurde hier die Ajara Fernsehstation eröffnet. Heute trägt sie einen viel längeren Namen.


Ursprüngliches ist im Haus von Glaudann kaum etwas erhalten: die Balkonlehne haben wir schon erwähnt, die Inschrift und den Wandkamin auch, der vor zwei Jahren bei einer Renovierung sichtbar wurde. Im Kamin habe ich die Zigarettenschachteln “Lux” und “Kosmos” gefunden, die gehören aber wohl zu einer späteren Periode.

Gut, aber das Foto von Michael selbst konnte ich nirgends finden.

Eine seltsame Geschichte: Er fotografierte ganz Batumi, von ihm war aber kein Foto erhalten.

Ich ging zu Meri. Sie erinnerte sich als einzige an Michael.

Mir fiel nichts anderes ein, so beschloss ich wie ein Detektiv zu suchen. Ich beschloss, ein Porträt zu erstellen und von Kriminalisten ein Fotorobot machen zu lassen.

Er sei nicht groß gewesen, eher mittelgroß, habe keinen Bart gehabt, oder doch einen gehabt; nein, sie erinnere sich an keinen Bart; er habe keine Brille getragen. Meri hätte ihn nie mit einer Brille gesehen. Er spreche Russisch, hatte eine Mari Petrowna als Ehefrau. Er kam oft auf den Balkon und unterhielt sich mit ihr. Das Ehepaar habe keine Kinder gehabt, jedenfalls hätte sie keine gesehen. Er wäre 1937 hingerichtet worden, die Kommunisten haben ja so viele hingerichtet.


Meri war kurz davor verstorben, als ich das Foto des Vaters von Glaudann gefunden hatte und konnte es ihr nicht mehr zeigen. Vielleicht hätte sie ihn erkannt, obwohl sie ihn nie gesehen hatte und am Ende gar blind geworden war.
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