Diese Information zum Kennenlernen von “georgischem Deutschland” – also dem Leben der deutschen Siedler in Georgien – wurde von denjenigen geliefert, die in den Druckmedien die Besonderheiten bekanntgaben, mit denen sich die Siedler von den Einheimischen unterschieden (was sehr lobenswert war, aber leider nur mit Worten und nicht mit Taten, dies werden die mündlichen Überlieferungen und schriftliche bzw gedruckte Mitteilungen bestätigen).
So lesen wir in der Zeitung “Iveria” aus dem Jahr 1889: damit der Leser ausführliche Auskunft bekommt, sind die Angaben zur Lage von Katharinenfeld vollständig und beschreiben nicht nur die Toponimik, sondern auch die Aussichten so attraktiv, dass sie den Leser (oder einen Hinreisenden) locken und sein Interesse für die Ortschaft wecken: das Dorf liegt zwischen zwei Bergen, vom Norden und vom Süden umgeben von Flüssen, Wiesen und Weinbergen. Dieses kleine Dorf (mit 250 Familien) ist keineswegs schlechter erschlossen und begrünt, als unsere kleinen Städte sind. Das erste, was dem Besucher beim ersten Anblick in die Augen sticht, sind die auf der Erhöhung aus Stein und Leim gebaute Häuser mit den Mauern aus dem gleichen Baumaterial. Die Häuser sind verputzt und mit Dachziegeln überdacht, auch die Zimmer (4 bis 5) vorbildlich verputzt und tapeziert. Sowohl der Fußboden als auch die Decke waren aus Holz gemacht und die Decke mit Figuren aus Gips verziert. Nicht alle Häuser können von ihnen besichtigt werden. Wenn Sie reinschauen, sehen Sie einen Tisch und mehrere Stühle, Schränke und Betten. Was das Dorf selbst anbetrifft, so sieht es äußerlich mit seinen Häusern und auf einer Linie angereihten breiten Straßen den anderen Dörfern nicht ähnlich weder mit seinen Bürgersteigen noch mit Obstgärten und mit den „unbedingt am Straßenrand stehenden Häusern“.
In der Dorfmitte stand eine Kirche, die aus solch schönen gemeißelten Steinen gebaut war, dass sie keineswegs geringer aussah, als wenn sie aus Marmor gewesen wäre. Von dieser Kirche könnte man sagen, keine zwei Kirchen in Tbilisi waren schöner als diese. Im Kirchhof – um es wortwörtlich zu wiederholen – „vom Osten ragt die Dorfschule heraus, eine Schule mit 3 Klassen, in der deutsche und russische Sprachen und verschiedene Fächer unterrichtet werden. Hier wird das ganze Jahr gelernt: im Sommer morgens 3 Stunden lang, im Winter – zweimal am Tag morgens und abends (insgesamt 6 Stunden). Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Korrespondenz gab es dort 315 Schüler – Mädchen sowie Jungen. Der Autor des Artikels kann sich nicht zusammenreißen und schreibt folgende für viele beleidigende und herzzereissende Worte: „Im Unterschied von unseren Schulen kommen hier im September 100 Jungen in die Schule, schon in 2 Wochen beträgt ihre Zahl 80 und zum Jahresende bleiben nur noch 20 davon in leeren Schulklassenzimmern“.
Die Schule setzte sich die Vorbereitung der Jugendlichen auf die Arbeit zum Ziel. Die besten blieben als Lehrer weiter in der Schule, manche führten ihre Studien in Hochschulen fort. Diejenigen, die ein Handwerk lernten, benutzten es später in ihrem Arbeitsalltag. Die Schulabsolventen waren als Privatlehrer oder in verschiedenen Lehreinrichtungen tätig. Am Ende des Absatzs steht (wer weiß, vielleicht aus der Begeisterung heraus, daß nichts erwünschter sei, als das Reichtum, das die Schule dem ganzen Dorf gab ohne Unterschiede oder aus der Trauer, daß dieses Bestreben bei uns noch fremd zu sein schien): „Das ist eine Lehrquelle, eine dorfliche“.
Der zweite Brief
Die Kirche, die Schule, die Handeslobjekte, sogar ein Hotel, die Post (“ging zweimal die Woche hin”) und ein Gefängnis. Im Prozess waren die Polizei- und Gerichtsbeamte, sowie ein Vermittlerrichter und Untersuchungsrichter involviert. Der Leiter der Polizei war der Fürst Tarkhan-Mourawischwili, der seinen Verpflichtungen sehr treu nachging. Es ging darum, dass die Tataren von Bortschalo oft raubten, auch die ihnen zuschauenden Georgier und Armenier hielten sich von der Räuberei nicht zurück (schämten sich nicht mal dafür). Nicht nur der Diebstahl, sondern sogar ein Todesfall fand bei einem Überfall statt: 3 Schäfer wurden von 8 bis 10 bewaffneten Räubern überfallen und haben ihr Schaf entführt; einem Tataren und einem Georgier wurden statt der Dankbarkeit auf einer deutschen Hochzeit die Pferdeausrüstung gestohlen. Raub war so weit verbreitet, dass sogar die Kinder bewaffnet herumliefen, so ist es nicht schwer vorzustellen, dass die Wachsamkeit, die Bestrebungen und ein Engagement notwendig waren für die Verbesserung der Lage und den Kampf gegen das Verbrechen. Tarkhan-Mourawischwili versuchte, manche mit Belehrung, manche mit Drohung, manch andere mit Anflehung und andere wiederum mit Gefängnisdrohung von der Räuberei zurückzuhalten. Wo auch immer die Räuber auftauchten, tauchten auch die Polizeibeamten auf. Für sie waren der Tag die Nacht und die Nacht der Tag. Für alle Angelegenheiten – gute wie schlechte (Krankheiten von Menschen und Vieh eingeschlossen) waren sie verantwortlich und im Unterschied von anderen (z. B. Gori-Region), von denen der Autor des Artikels mit Ironie schreibt, dass sie erst aus den Zeitungen erfuhren, wenn in ihrer Region etwas geschah – hatte Tarkhan-Mourawischwili seine Ruhe verloren und “befand sich in grosser Not”. Wer war für das Dorf verantwortlich und wurde deswegen respektiert? – der Hausmeister Schulz, ein ehernwürdiger Mensch; davon war man schnell überzeugt, wenn man ihn auf der Dorfversammlung oder in der Kanzlei auch nur einmal gesehen hatte. Die Dorfkanzlei war ein Gericht, in dem alle Prozesse so ordentlich liefen, dass mit ihm keine anderen staatlichen Behörden auch nur annährend vergleichbar waren. Selbstverständlich war alles hervorragend eingerichtet und geregelt. Eine Häelfte des in zwei geteilten grossen Saals war für die Anwesenden bestimmt, die andere – für die Dorfrichter und den Hausmeister Schulz (ihr Platz befand sich auf einer Anhöhung, damit sie alle sehen konnten). Die Entourage ist mit grosser Sorgfalt gemalt: aneinander gereihte Stühle, ein Tisch mit roter Decke, Schreibstift mit Tinte und die Sammlung der Rechte für die Richter. Reine Ordnung und Anständigkeit: stillschweigende Menschen, eingeladene Ankläger, denen die Gelegenheit geboten wurde, auszusprechen (niemand durfte sie unterbrechen). Die Zeugen wurden einer nach dem anderen befragt, danach gingen der Hausmeister und die Richter in separate Zimmer und stellten später den Anwesenden die Anklage vor. Der Hausmeister war für die Verteilung des Grunds, der Acker und der Weingärten zuständig: wer sie nicht gut genug pflegen konnte, wurde enteignet und musste das Dorf verlassen. Im Dorf selbst waren der Diebstahl oder der Raub nicht weit verbreitet, selbst die Tataren trauten sich wegen des Zusammenhalts der Deutschen nicht: im Dorf lebte man friedlich miteinander und störte andere nicht. Unter der deutschen Bevölkerung galt, wer mit irgendeiner Aufgabe nicht allein fertig werden konnte (z. B. mit dem Bau eines Hauses), wurde von anderen (und von Schulz – damit unterstrich man seine große Autorität) unterstützt. Schulz wurde am Vortag informiert und je nach Umständen entschied er, wer wem kostenlos helfen sollte (der Reihe nach). Der Hausmeister informierte dann jeden einzeln (je nach dem, wieviele Personen benötigt waren) und alle versammelten sich bei dem jeweiligen Nachbarn, um die Arbeit schnell zu erledigen. So trieben sie alle Geschäfte voran. Ihre Gemeinschaft trug auch zur Freiheit bei. Wenn ausserdem einer der Nachbarn seine Schulden nicht bezahlen konnte, halfen ihm die anderen, sodaß die Familie ihr Eigentum nicht verkaufen musste.
Die Bevölkerung von Katharinenfeld war ausnahmsweise deutsch und bestand aus Nachfahren der Siedler, die hier vor 200 Jahren eingewandert waren. Der Dorfälteste (90 J.) erzählte, was er von seinen Ahnen wusste: “Meine Vorfahren, ca. 90 Familien waren auf dem Weg nach Jerusalem, wo sie die Wiederkunft Christi erwarteten, aber durch den Zufall konnten nicht weiterreisen und blieben hier. Das geschah vor der Vereinigung Georgiens mit Russland. Die russische Zarin Katharina hat uns die Erlaubnis erteilt, so siedelten wir uns hier an und nannten die Siedlung der Zarin zu Ehre Katharinenfeld”.
Und zuletzt ein Paar Worte zur Gastfreundschaft: einen zufälligen Vorbeigehenden, einen fremden Menschen laden die Deutschen nach Hause ein, bewirten ihn mit Wein, lassen ihn solange nicht in Ruhe, bis der letztere zuwilligt; sie grüssen alle – Bekannte wie Unbekannte. Was sie aber von allen unterscheidet, ist die bewundernswerte Tüchtigkeit, insbesondere die der Frauen: willensstark, selbstlos, manchmal sogar unangenehm zum Anschauen, aber vorbildlich und beispielhaft. Sonntags und an allen Feiertagen gehen alle mit einem Buch in der Hand in die Kirche. Die Natur ermöglicht hier, dass immer genug zum Essen da ist. Der Überschuss wird sogar verkauft. Die Region zeichnete sich durch besonders schwarze Erde, Gewässer – einem Fluss und einigen Quellen aus: grosse Mengen an Fisch wurden im Dorf Khrami gefangen. Das Quellenwasser war keineswegs schlechter als das Selter-Wasser. Der Autor schrieb, wenn man das Quellenwasser in Tiflis verkaufen würde, wäre es keineswegs weniger populär, als das Selter-Wasser. Die Erde, das Wasser, die Luft: obwohl der Sommer hier heiß ist, begünstigt der warme Winter die Feldarbeiten. Der Wald, die Wiesen – ausreichend und reich an Ertrag, für alles tauglich, besonders aber für den Weinanbau. Die lokale Weinsorte hieß Aratkvai (Ramtewana). Die Lokalen sind dem Anbau des Weins und der Weinherstellung sehr treu. Die Weinberge waren bewundernswert eingerichtet: zusammen gebaut und mit dem gemeinsamen Zaun umzäunt. Nicht nur der Wein, sondern auch Weizen, Gerste, Hafer, Mais und andere Kulturen wurden angebaut. Soviel Heu wurde gesammelt, daß es für das ganze Vieh ausreichte. Jede Familie besaß 3 bis 4 Kühe, genausoviele Pferde und ein Paar Schweine, die genauso gut gefüttert wurden (und deswegen ihre Besitzer nicht störten). Die Deutschen benutzten Pferde in der Agrarwirtschaft statt Ochsen und Büffeln. Wagen war fuer sie alles: sowohl Kutsche als auch Karre und Phaeton. Tag und Nacht hörte man einen Wagen karren – schrieb der Korrespondent.