Calendula und blauer Knopf / Die Schule der deutschen Tanten: Kulturträgerinnen zwischen Deutschland und Georgien
„Deutschland und Georgien verbindet eine besondere Beziehung. Teil davon ist das einzigartige Phänomen der deutschen Tanten. Eine ganze Generation heutiger Georgier und Georgierinnen wurde nach Kriegsende bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion von sogenannten deutschen Tanten unterrichtet und erzogen. Diese Frauen, Nachfahrinnen deutscher Auswanderer, hatten einen großen Einfluss auf Sprach- und Herzensbildung. Das Buch ist eine Entdeckung für alle pädagogisch und zeitgeschichtlich interessierten Leser, aber auch für Leser von berührenden Zeitzeugnissen.“
Die Geschichte der georgischen "deutschen Tanten" ist einzigartig im sowjetischen Raum und war bislang nur sporadisch dokumentiert.[1] Gleichzeitig ist sie Teil der Erklärung für den überaus starken Bezug der georgischen intellektuellen und künstlerischen Szene zur deutschen Sprache und Kultur.
Exemplarisch werden die Familiengeschichten von vier deutschstämmigen Frauen erzählt: Elisabeth Sanikidse, geb. Pahl (Großmutter), Nina Gabaschwili und Landa (Jolanta) Sanikidse-Didebulidse (Töchter), und Eliso Didebulidse (Enkelin), die u.a. die Methodik des Fremdsprachenunterrichts in Georgien nachhaltig prägten.
Drei Frauen: Lili Pahl und ihre Töchter - Nina Gabaschwili und Landa Sanikidze-Didebulidze /
(Familienarchiv von Irakli Didebulidze)
Sie entwickelten in ihren privaten Kindergärten ein einmaliges Konzept frühkindlicher Pädagogik, das vermutlich der Montessori-Pädagogik nahestand. Die für den gesamten Sowjetraum einmalige Tradition der deutschsprachigen Kindergärten hat in Tbilissi bleibende Kulturspuren hinterlassen.
Dokumentiert wird damit auch die urbane Geschichte der deutschen Minderheit im 20. Jahrhundert: Diese deutschstämmigen Frauen, großenteils Nachkommen in den Südkaukasus ausgewanderter württembergischer Pietisten, hatten die stalinistischen Repressionen und Massendeportationen der 30-er und 40-er Jahre überlebt und richteten in sowjetischer Zeit in Tbilissi private deutschsprachige Kindergärten ein, in denen Kinder bildungsbewusster georgischer Familien ihre Kindergartenzeit verbrachten und dabei Deutsch lernten.
Die Kindergärten, die in den Wohnungen der deutschen Tanten oder der Eltern der Kinder stattfanden, waren illegal, wurden offenbar jedoch stillschweigend geduldet. Den im Kindergarten erworbenen Bezug zur deutschen Sprache und Kultur bewahrten sich die meisten "Absolventinnen und Absolventen" ihr Leben lang, ebenso wie die Erinnerung an eine für die damalige Zeit unkonventionelle Pädagogik. Viele von ihnen sind heute erfolgreiche Persönlichkeiten im öffentlichen Leben Georgiens; ihreSchilderungen der Kindergartenzeit sind höchst berührende Zeitzeugnisse.
Ziel dieser Publikation ist, das Phänomen der "deutschen Tanten" im kulturhistorischen Kontext der deutschen Aussiedler im 20. Jahrhundert einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland vorzustellen. Das Buch wird für alle pädagogisch und zeitgeschichtlich interessierten Leser eine Entdeckung sein, aber auch Leser von berührenden Zeitzeugnissen ansprechen.
Die reich illustrierte Dokumentation spannt einen Bogen von der multikulturellen urbanen Geschichte Georgiens bis ins 21. Jahrhundert, wo im Jahr 2010, wiederum aufgrund einer lokalen Elterninitiative, eine internationale deutsche Schule gegründet wurde.
Inhaltsübersicht
- Einleitung von Nino Lejava
- Ich hieß Anuki von Anna Kordsaia-Samadaschwili
- Die Spuren der Deutschen Schulen: Siedlung Neu Tiflis in den Jahren 1818-1925 von Anna Margwelaschwili
- Deutsche Kindergärten im sowjetischen Tbilissi: Paradiese für georgische Kinder
- von Nino Bekischwili, Nino Lejava, Mascho Samadaschwili
- Von den Tanten bis zum Gelobten Land von Bidsina Ramischwili
Auszug aus „Ich hieß Anuki“ von Anna Kordsaia-Samadaschwili
„Als ich bei Tante Nina landete, war ich sehr klein, eigentlich zu klein, aber meine Mutter wollte das unbedingt und hat es auch geschafft, und das werde ich ihr nie vergessen. Meine Mutter wollte, dass ich, Anna, in Tbilissi, Neu Tiflis, geboren, ein wirklich gutes Mädchen würde, das viele Sprachen spricht und viele nützliche Kenntnisse hat. Meine Mutter glaubte immer, dass ein „europäisierter” Georgier es am weitesten bringt, und das konnte – natürlich! – Tante Nina am besten erreichen.
Und so landete ich bei Tante Nina.
Am Anfang lernten wir in Michas Haus auf Mtazminda. An diese Zeit kann ich mich nicht ganz deutlich erinnern. Ich erinnere mich an einen schönen Garten und an den ersten und wertvollsten Preis meines Lebens, die 'Goldene Medaille', die ich für meinen Fleiß bekam. Ich habe sie noch heute: Darauf ist eine Frau abgebildet, die ein Reh umarmt. Ich habe sie nie getragen, ich fürchtete zu sehr, dass ich sie verlieren würde.“
Bibliografie
Calendula und blauer Knopf - Die Schule der deutschen Tanten:
Kulturträgerinnen zwischen Deutschland und Georgien
Herausgegeben von Nino Lejava
Die georgische Ausgabe erschien bei: Soviet Past Research Laboratory (sovlab.ge / archive.ge)
ISBN 978-9941-0-7678-7
Ca. 160 Seiten inkl. Illustrationen
Die Publikation und die deutsche Übersetzung wurden im Rahmen des deutsch-georgischen Jubiläumsjahrs unter dem Motto „Zukunft erben“ gefördert.
Nino Lejava [email protected]
[1] Vgl. Lipinskaja, Nino, Die deutschen „Tanten“: deutschsprachige Kindergärten in Tbilissi, in: Glück/Nielsen/Paitschadse (1995), Deutsch in Georgien, B.2; Schneider, Kathrin, Die Tanten – eine Tifliser Institution. Schokolade und Storchengang hinter dem Eisernen Vorhang, in: Kaukasische Post 18.07.2012;http://www.kaukasische-post.com/?p=923 ; Melaschwili, Tamta, Erzählte und nicht erzählte Geschichten, Verlag Intelekti, 2017 (Georgisch)
[2] Deutsch erschienen: Ich, Margarita, Verlag Hans Schiler, 2013; Das historische Gedächtnis, in: Tandaschwili/ Gippert (Hrsg.), Techno der Jaguare: Neue Erzählerinnen aus Georgien, Frankfurter Verlagsanstalt, 2013; Wer hat die Tschaika getötet?, Verlag Hans Schiler, 2016